"Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da"
Bertolt Brecht
An sie erinnern - über den Tod hinaus
Irgendwann in meinem Leben starb der erste Mensch, der mir wirklich nah war. Es war meine Lieblingsoma Paula. Sie war in meiner Kindheit zusammen mit ihrem Mann Heinrich der überlebenswichtige Elternersatz für mich. Ich habe jede Sekunde bei Ihnen wirklich genossen, und es gab so viele dieser Sekunden davon. Noch heute kann ich die Atmosphäre, die Nähe und die große Aufgehobenheit spüren, die ich dort spüren durfte. Und so war es auch ein schmerzlicher Verlust als erst Oma Paula und 7 Jahre später Oma Heinrich ging.
Ich durfte und konnte mir aus ihrer Wohnung Dinge aussuchen, die ich mitnehmen wollte. Und es wurden einige Dinge. Vor allem sind es Dinge, des täglichen Gebrauchs, die ich heute noch täglich in den Händen halten kann. Die Sonntagsteller mit dem goldenen Rand, der bei mir als tägliche Teller im Einsatz bei einigen von Ihnen schon "weg gegessen und gespült" ist. Oder auch die schwere dunkelbraune Porzellan-Salatschüssel aus den 50igern.
Diese Erinnerung, die ich beschreibe, ist für mich keines Falls sentimental oder schmerzvoll mit einem immer wieder kehrenden Erinnerungsschmerz verbunden. Nein, sie ist handfest, ganz real und enorm tröstlich. Paula und Heinrich, ihre Grundqualitäten sind so in meinem Leben präsent und helfen mir so immer noch, auch wenn sie bereits über 20 Jahre tot sind. Zugleich kann ich Menschen, die bei mir zu Gast sind und mit denen ich das Essen teile, davon erzählen, woher diese Salatschüssel oder die Teller stammen. Damit wird Wirksamkeit, Spuren hinterlassen im Strom der Kommenden und Gehenden für mich ganz real und ein starker Bestandteil des Lebens, auch wenn es mit diesen Seelen schon lange gegangen ist.
Vermutlich ist das ein Grund, warum Grabsteine eine Bedeutung haben. Sie erinnern, allerdings sind sie eben nicht im täglichen Leben so präsent.
Die Lücke im Firmament
Vor etwa 10 Jahren starb dann mitten im Leben als Mutter eines 12 Jährigen Sohnes meine erste große Liebe Maren. Wir hatten zu Lebzeiten das große Glück, dass wir uns auch nach unser frühen Trennung, die durchaus voller Schmerz und Weh war, als tiefe Freunde sehr verbunden und nah waren. Ich durfte und konnte so im Prozess ihres Sterbens ganz nah dran sein, ihren Mann, ihren Sohn und ihre Eltern begleiten. Dies war für mich das erste Mal, dass ein Mensch, der mir als Freund und ehemals geliebte Frau nah war, gestorben ist.
Nach ihrem Tod dann entstand ein Bild in mir, was im Zusammenhang mit dem Unweigerlichen und so Menschlichen des Kommens und Gehens in das Leben und in den Tod für mich enorm tröstlich und hilfreich ist. Ich habe irgendwann nach oben geschaut und im Himmel meines Lebens, dort zwischen Blau und Wolken war ein Loch entstanden. Zuerst war dieses Loch erschreckend und erschütternd für mich. Jetzt beginnt es, dachte ich und irgendwann, wenn ich alt bin, besteht mein Himmel nur noch aus Löchern und ist fort.
Aber nur wenig später wurde mir gewahr, dass dieses Loch, diese Lücke auch den Blick frei gibt auf etwas dahinter. Es ist ein erster Blick in den Raum dahinter, den Raum aus dem ich komme, und in den ich zurückkehre. Und dabei ist es egal wie göttlich, teuflisch, lichtvoll oder unbekannt er ist. Es ist das Durchscheinende, das Freigebende, den Blick für mehr und Größeres als hier und heute ermöglichen.
Dieses Bild ist seitdem für mich ein fester Bestandteil meines inneren Bildes auf die Dinge und Wesen geworden. Und es sind Lücken hinzugekommen. Erstaunlich. Wenn ich das schreibe erfüllt es mich mit Gewinn und Stolz. Ja, es sind intensive und auch schmerzliche Phasen und Übergänge damit verbunden und eröffnen neue Lücken meines Himmels. Und wenn ich in bestimmten Licht und Winkel schaue, funkeln diese Lücken fast wie Edelsteine in der Sonne meiner Tage.
Und so wie ich den inneren Blick an meinen Himmel richten kann, um mich mit den Vorangehenden zu verbinden, so gehe ich durch meine Wohnung schaue, berühre oder nutze die Dinge, die mich mit ihnen verbinden und damit stärken, trösten und stolz machen.
In diesem Sinne und mit dieser Möglichkeit der Verbindung und des Leben Spendenden im Vergehen lade ich ein zum aktiven, handfesten, nutzvollen, tröstenden und stolzen Erinnern und Ehren der Vorangehenden!
Ich widme diese Worte allen Lücken und Lichtblicken auf die Ewigkeit:
Paula
Heinrich
Maren
Johannes
Jutta
Herrn Bode
Lilly
...
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